Unter dem medizinischen Begriff Unguis incarnatus versteht man allgemein einen eingewachsenen Nagel. In der Praxis wird er jedoch fast immer mit dem eingewachsenen Großzehennagel gleichgesetzt, da dieses Problem überwiegend an den großen Zehen auftritt. Tatsächlich gehört der eingewachsene Zehennagel zu den häufigsten Erkrankungen des Nagelapparats – und er kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Schmerzen, Entzündungen und mitunter starke Einschränkungen im Alltag sind typische Begleiterscheinungen.
Besonders häufig sind Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. In der westlichen Bevölkerung liegt die Häufigkeit bei schätzungsweise 2,5 bis 5 %. Die Ursachen sind vielfältig: Neben äußeren Faktoren wie falschem Schneiden der Nägel oder zu engem Schuhwerk spielen auch innere Einflüsse wie genetische Veranlagungen eine Rolle.
Wer noch nie ein Problem mit einem eingewachsenen Zehnagel hatte, kann sich nicht vorstellen, mit welchen Schmerzen dies verbunden ist. Oft kann man keinen Fremdkörper auf dem Zeh tollierieren (Wasser oder Bettdecke). Umso wichtiger ist eine rasche ärztliche oder podologische Versorgung des betroffenen Zehs.
Konservative und operative Therapien
In frühen Stadien können konservative Maßnahmen wie Orthonyxiespangen, Tamponaden oder Schienungen (z. B. mit sogenannten Sulci-Protektoren, von letzteren halte ich persönlich nicht viel) helfen. Halten die Beschwerden jedoch länger an oder treten wiederholt auf, führt an einem chirurgischen Eingriff meist kein Weg vorbei.
Besonders etabliert hat sich in den letzten Jahren die seitliche Nagelteilextraktion in Kombination mit einer chemischen Verödung des seitlichen Matrixhorns. Diese Methode gilt als effektiv, gut verträglich und wird zunehmend als Standard angesehen.
Unterschiedliche Praxis – fehlende Leitlinie
Trotz verfügbarer Therapieoptionen zeigt sich in der Praxis eine erstaunliche Variabilität in der Behandlung. Das liegt vor allem daran, dass bisher eine einheitliche Leitlinie zur Therapie des eingewachsenen Zehennagels fehlt.
Während eingewachsene Fingernägel nur sehr selten vorkommen und sich in Entstehung sowie Behandlung von eingewachsenen Zehennägeln unterscheiden, steht im Mittelpunkt dieser Darstellung der eingewachsene Zehennagel.
Ziel und Ausblick
Dieser Überblick möchte das Krankheitsbild verständlich darstellen und anhand aktueller Erkenntnisse einen praxisnahen Algorithmus zur Therapieentscheidung aufzeigen. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten wie auch Behandelnden eine bessere Orientierung im Umgang mit diesem häufigen, aber oft unterschätzten Problem zu geben.
Therapie-Algorithmus beim eingewachsenen Zehennagel
Stadium / Schweregrad | Typische Symptome | Empfohlene Maßnahmen | Ziel der Therapie |
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Frühstadium (mild) | Druckschmerz, Rötung, leichte Schwellung, keine oder geringe Entzündung | Fußhygiene verbessern- Nägel korrekt schneiden (gerade, nicht rund)- Entlastung durch weites Schuhwerk- Tamponade unter den Nagelrand legen- Orthonyxiespange einsetzen | Entlastung, Korrektur des Nagelwachstums, Vermeidung einer Operation Nagelkorrekturspangen sind oft sehr hilfreich zur akuten Schmerztherapie |
Mittleres Stadium (moderat) | Schmerzen, stärkere Rötung, Schwellung, beginnende Eiterbildung | Kombination konservativer Maßnahmen- Sulcustamponaden, weniger Sulci-Protektoren oder Schienung Lokale Antiseptika / antiseptische Fußbäder mit Rivanol Bei Bedarf Schmerztherapie (Ibuprofen) Je nach Ausgangsbefund kommt auch eine orale Antibiotikatherapie in Betracht. | Eindämmung der Entzündung, Vermeidung einer Verschlechterung |
Fortgeschrittenes Stadium (schwer) | Starke Schmerzen, ausgeprägte Entzündung, Granulationsgewebe („wildes Fleisch“) | Mit viel Geduld kann eine Nagelspangentherapie durchgeführt werden. Die Therapie ist zeitintensiv, der Nagel der Großzehe benötigt in der Regel ein Jahr, um von der Basis bis zum Beere zu wachsen. Chirurgische Teil- oder Keilexzision des Nagels, häufig kombiniert mit chemischer Verödung des seitlichen Matrixhorns (z. B. Phenolisation) | Dauerhafte Beseitigung des eingewachsenen Nagelanteils, Rezidivprophylaxe |
Chronisch / Rezidiv | Wiederkehrende Beschwerden trotz konservativer Maßnahmen, langwierige Verläufe | Wiederholung oder Erweiterung chirurgischer Eingriffe Dauerhafte Matrixresektion möglich Individuelle Nachsorge und Schulung (Nagelpflege, Schuhwerk) | Langfristige Beschwerdefreiheit, Vorbeugung weiterer Rückfälle |

Dr. med. Herbert Karpienski
Herbert Karpienski ist Facharzt für Anästhesiologie, führt seit 1996 ambulante Narkosen durch und war über zehn Jahre im Rettungsdienst tätig. 2014 erwarb er das Zertifikat Leitender Notarzt. Zudem beschäftigt er sich mit podologischen Themen und hat sich darin fortgebildet.